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Acher-Rench Zeitung, 11. Mai 2011


Lyrik und "digital painting"

Winfried Hoggenmüller und Rainer Schöttgen präsentieren ihr gemeinsames Buch am 20. Mai

Lyrik und Bilder in wechselseitiger Steigerung: Winfried Hoggenmüller und Rainer Schöttgen schufen ein gemeinsames Buch. [von Albrecht Zimmermann]

Achern. Sie sind damals wie Stars gefeiert worden, vor vier Jahren im ausverkauften Acherner Rathaussaal, nach einem ungewöhnlichen Experiment, das verschiedene Künste zu wechselseitiger Steigerung zusammenführte: Winfried Hoggenmüller mit Lyrik und Rainer Schöttgen mit "digital painting", computergestützten Bildern. Was wegen ihrer persönlichen Bescheidenheit und trotzt Nachfrage lange ausblieb, wurde von den beiden Künstlern nun endlich verwirklicht: die Greifbarkeit in Buchform und eine neue Präsentation als gong-Veranstaltung in der Mensa des Gymnasiums am 20. Mai um 20 Uhr.

Spannungen des Daseins

"Hier wohnst du – weit weg", so lautet der Buchtitel der Autoren. Was ist das Besondere dieses Lyrik/Kunst-Bandes? Weit weg von Konvention und Geläufigkeit bewegt sich das Projekt in den Ausdrucksformen der Moderne. Winfried Hoggenmüllers Poesie hat die Sprache von Dichtern wie Rilke, Brecht, Hesse verlassen und arbeitet mit Stilmitteln, die von den Surrealisten bis zur Gegenwart den Bewusstseinsstrom und die Spannungen unseres Daseins in Worte bannen. Das bedeutet für Hörer und Leser manche Desorientierung; denn es wirken in Hoggenmüllers Versen Bild- und Klangkräfte, die über bloße Mitteilung weit hinausreichen, weil sie unsere gewohnten Vorstellungen in dissonantische Schwingungen versetzen. Suggestiv und vieldeutig erleben wir etwa einen Text auf Seite 53: " Abgeschnitten / blüht / in meiner Tiefe / ein Ast / der Magnoliensonne". Eine solche Sprache verfolgt nicht leicht nachvollziehbare Allerwelts-Gefühle – ihr geht es vielmehr um Impulse, die neue Gefühls- und Gedankenverbindungen erst wecken. Und deren Ich ist nicht mit dem Autor gleichzusetzen.

Fein ziselierte Dynamik

Voller Spannungen zur erkennbaren Realität sind in solche Texte die Bilder von Rainer Schöttgen eingelagert: Expressiv-steigernd vermählt sich etwa sein Bild "Landschaft in gelb und blau" dem Gedicht "weiter gehen", indem es mit fein ziselierter Dynamik Bewegungsabläufe in uns aufruft, die zwischen vielfältigen Fantasiekräften erregt schwanken. Bekommt das Bild, bekommt das damit verbundene Gedicht durch ihr Zusammenwirken neue Lesearten? In Gesprächen mit Hoggenmüller und Schöttgen gewinnt man den Eindruck, dass es eher nach als vor der Schaffung ihrer Artefakten verbindliche Verabredungen gab über Zuordnung, Entsprechung, wechselseitige Erhellung – aber auch Gefahren im Ausdruck beim Zusammengeraten ihrer Werke. Den beiden zuzuhören waren Erlebnisse von wahrhaft kommunikativem Geist und menschlicher Wärme.

Eine Demonstration an Schöttgens Computer – seinem Werkzeug – zeigte, wie das Gerät nur technisch absichert, was die kreative Hand und der Kunstverstand zeugend entwerfen. Das ließ den inneren Reichtum ahnen, der den ehemaligen Wissenschaftler der Uni Konstanz und Software-Entwickler seit 1997 zum freischaffenden Maler und Zeichner machte. Ähnlicher Reichtum spricht zu dem, der sich auf die Geheimnisse der Poesie von Winfried Hoggenmüller einlässt.

Wer die magische Vielfachbedeutung von Worten wie "Dämmerungsfenster", "Abschiedsvögel", "Meereslachen" nachspürend entdeckt, wird sie nie mehr vergessen. Mancher wird kennen lernen, wohin Synästhesie und Neologismen ihn führen, wenn er die dissonantische Schönheit von "Dünenmorgen", eines verschleierten Liebesgedichts, auf sich wirken lässt; es endet so: "Du atmest / nachtwarm in mir."