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Acher und Bühler Bote (Badische Neueste Nachrichten), 4. April 2007


"Die Augen schließen – und du siehst"

Publikum nahm bewegt und begeistert das multimediale Gesamtkunstwerk auf

[von Wolfgang Winter]

Winfried Hoggenmüller, Rainer Schöttgen und Roman Kühn wurden von rund 200 Besuchern im ausverkauften Bürgersaal begeistert gefeiert. Die Premiere ihres multimedialen Gesamtkunstwerks "Die Augen schließen – und du siehst" bewegte das Publikum zutiefst. Von Anfang an fesselte und ergriff das Gebotene. Im abgedunkelten Saal erklang das von Roman Kühn interpretierte Päludium C-Dur von Schostakowitsch, dazu las Winfried Hoggenmüller den Zyklus "Laub auf die Gesichter", während auf der Großbildwand die mit dem Computer gezeichneten Arbeiten Rainer Schöttgens erschienen. Wie innig abgestimmt das "Miteinander" wirkte, kann nicht hoch genug gelobt werden. Trotzdem ist es für diese Besprechung notwendig, die lichtvolle, aus Wort, Bild und Musik bestehende Kunst-Kathedrale in seine Bausteine zu zerlegen, um den Protagonisten gerecht zu werden.

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Beifallssturm für die Protagonisten (von links): Rainer Schöttgen, Roman Kühn und Winfried Hoggenmüller wurden begeistert gefeiert.

Winfried Hoggenmüller berührte in der ersten Hälfte des Abends mit Gedichten um die Themen Krieg, Tod und Krankheit. Der Zyklus "Lauf auf die Gesichter" lässt finstere Zeiten erahnen. "Schwarze Tränen fallen zur Erde – Jeder tötet im Krieg auch sich selbst" erklärt der Lyriker lakonisch. Hoggenmüller hofft auf die Kraft der "orangefarbenen Lieder" und fordert ein Zeichen des Höchsten, der, obwohl er das Wort ist, seit Menschengedenken im Schweigen verharrt. Innerhalb der leidvollen Textstrecke leuchtet das meisterhafte Epigramm "Vielleicht weint der Tod – wenn der Mensch tötet", eindrücklich hervor. Unter der Überschrift "Die leeren Stühle" hielten die Erinnerungen an Krankheit und Tod Einzug in den Bürgersaal. Der Tod, der "fremde Freund", ist immer geschäftig: "Er setzt sich nicht auf die leeren Stühle im weißen Zimmer mit den gelben Zweigen". Eine Krebserkrankung führt "als es anfing" in eine "kalte Traumzeit". Aus dem "Angstmund" fallen "Scherbenworte". In "Verwandlung" und "Überlebenskunst" wird neue Kraft gewonnen und das "Ende der Depression" mit dem Gedanken an die nicht weiten Berge und eines rötlich leuchtenden Sees eingeläutet.

Dem dritten Teil seiner vierzig Gedichte umfassenden Werkschau gab Hoggenmüller den Titel "Diese langen blauen Tage". Auf einem Kalvarienberg der Bretagne erzählen Steinfiguren "sandverwitterte Wundergeschichten". Im Hafen ist "das Windgesicht lebhaft". Auf Jütland tanzt ein Stein auf Wellen und findet den Weg "zu mir zurück". Was nach dem "leisen Gesprächen der Abschiedsvögel" bleibt, ist der Weg "vom Bach der Kindheit – zwischen Apfelbäumen dorthin – wo ich den Beginn des Himmels vermute".

Im vierten Teil "Halb umarmt" vereinen sich die Themen Reisen und Liebe. Hier gelingt Hoggenmüller das Kunststück, eine Fülle intimer Momente taktvoll lebendig werden zu lassen. Mit der vom "Hohelied" der Bibel inspirierten Liebeserklärung "Denn auch du bist eine Tochter Zions – und du bist schön, vollkommen schön" endete sein Vortrag. Rainer Schöttgen trug vielfach zum Gelingen bei. Er unterstützte Hoggenmüller als Rezitator und schuf mit seiner angenehm sonoren Stimme eine ganz besondere Atmosphäre des Hinhörens. Die Wortpassagen hatte Schöttgen zuvor aufgenommen und in sein als DVD abgespieltes Bildwerk integriert. Einzelne Gedichte wurden ebenfalls herausgehoben projektiert. Der zuvor geduldig abgesprochene und geübte Ablauf funktionierte übrigens perfekt. Der sich in seinen Bildern dokumentierende immense Schaffensrausch Schöttgens erstaunte die Besucher außerordentlich. Was sonst tief auf der Festplatte seines Computers im Verborgenen schlummert, wurde auf der Leinwand glänzend ins Licht gerückt. Eine derartige, kolossale Bilderfülle hatte wohl niemand erwartet.

Die sich auch in Roman Kühns Musikauswahl widerspiegelnde kongeniale Begleitung der Hoggenmüller-Gedichte gelang Schöttgen in bestechender Qualität. An seinen unglaublich unterschiedlichen Frauenbildern konnte sich an diesem Abend wohl niemand sattsehen. Egal, ob Weiber wie aus dem Zille-Album entstiegen, verhärmte Frauengesichter, die an Käthe Kollwitz erinnern, oder laszive, über ihrem Schampus brütende Barsirenen, Schöttgen hat sie alle drauf. Mit sicherem, einprägsamen Strich arbeitet er die inneren Befindlichkeiten eines Menschen heraus. Ob bis ins Detail ausgemalt oder in radikaler Reduzierung, Schöttgens Porträts wirken stets authentisch, dem Leben abgerungen. Gerade in den vorgeführten Variationen und seinen Überblendungen zeigt sich Schöttgens bild-kompositorische Meisterschaft. Es bleibt zu hoffen, dass sich bald eine namhafte Kunsthalle findet, die die Arbeiten des Acherners einer großen Öffentlichkeit präsentiert.

Der renommierte Konzertpianist Roman Kühn besorgte die fantastische Musikauswahl und beeindruckte mit exzellentem Spiel. Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung" dienten dem Publikum als mitreißende Atempause zwischen den Bild- und Textvorträgen. Am Ende herrschte ein langes Schweigen der Ergriffenheit, bis der über viele Minuten anhaltende Beifallssturm des Publikums einsetzte. Der vom Besucheransturm überraschte gong-Kulturchef Jochen Lemme bedankte sich mit einem Weinpräsent.